Energiepolitik, wo ist die Stimme der Physiker?

Jean Pierre Blaser, Andreas Pritzker

 

Im Zusammenhang mit der sogenannten Energiewende häufen sich in Politik und Medien absurde Sprüche, und Wunschvorstellungen werden zu Planungsgrundlagen, wobei Manches an Irreführung grenzt, wie wir im folgenden zeigen werden. Zu leise ist die Stimme der Physiker und Ingenieure, die in der Lage wären, schon mit einer 'Back-of-the-envelope' Rechnung zu zeigen, wie unrealistisch oder gar falsch gewisse Vorschläge sind. Und die wichtigen Institutionen wie die ETHs, das PSI und eben auch die SPG wären eigentlich zu öffentlichen Klarstellungen verpflichtet.

 

Zur Einleitung: Der Strombedarf der Schweiz im Sommer und Winter

Die Statistiken des Bundesamtes für Energie BFE [1] zeigen, dass wir im Sommer kein Problem mit der Deckung des Strombedarfs haben. Da kann man problemlos jeweils ein Kernkraftwerk für einen Monat Revision abstellen und erst noch beträchtliche Energiemengen exportieren.
Das grosse Problem ist das Winterhalbjahr. Der mittlere Landesverbrauch beträgt dann rund 8.8 GW, und diese Leistung wird etwa wie folgt erbracht:

Kernkraftwerke
Wasserkraft - Laufkraftwerke
Wasserkraft - Speicher-Stauseen
Einfuhr von Elektrizität
Diverse
Sonne durch KEV
3.3 GW
1.2 GW
2.4 GW
1.6 GW
0.4 GW
0.006 GW

Knapp 40 % liefern die Kernkraftwerke, gut 40 % die Wasserkraft, und 20% müssen wir importieren – letzteres entspricht fast der Leistung von zwei grossen Kernkraftwerken.
Nach der Energiewende würde im Winter etwas mehr als die Hälfte des konsumierten Stroms fehlen. Die Annahme, dieser Anteil könne durch 'Erneuerbare' sowie durch Sparen kompensiert werden, ist völlig unrealistisch.

 

Die KEV als Beispiel von sinnlosem Aktivismus

Die Kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) ist ein Instrument des Bundes, welches zur Förderung der Stromproduktion aus erneuerbaren Energien eingesetzt wird. Die KEV deckt für den Produzenten die Differenz zwischen Aufwand und Marktpreis.

Den im Sommer anfallenden KEV-Strom kann man gar nicht brauchen. Die Wasserkraft liefert dann so viel Strom, dass man sogar mehrere GW exportieren muss. Der KEV-Strom wird also unter praktisch vollem Verlust der durch Strompreisaufschläge und Subventionen bedingten recht grossen finanziellen Mittel einfach exportiert. Und der im Winter erzeugte KEV-Strom liefert keinen merkbaren Beitrag.

Die KEV nützt energetisch nichts und kostet sehr viel, ist also reiner politischer Aktivismus. Und das sollte man sagen!

 

Für den fehlenden Strom im Winterhalbjahr taugt die Sonnenenergie nicht

Ein grosses thermisches Kraftwerk erzeugt 1 GW Elektrizität als Bandenergie. Installierten wir als Ersatz ein Photovoltaik-Kraftwerk, bräuchten wir Solarzellen für etwa 10 GW Spitzenleistung, denn die mittlere Verfügbarkeit liegt praktisch bei 10 Prozent. Für diese Spitzenleistung brauchen wir Solarzellen mit einer Fläche von 70 km2 mit einem effektiven Landbedarf von rund 200 km2 freiem Gelände.

Um die nach dem Wegfall der Kernkraftwerke und Verzicht auf den Import von fossilem Strom fehlende Leistung von etwa 5 GW im Winterhalbjahr mit Sonne zu produzieren, wären Sonnenkraftwerke mit insgesamt 1000 km2 Fläche notwendig, und zwar an geeigneter Lage. Sogar der Nordhang des Wallis würde dafür nicht genügen, abgesehen von den Auswirkungen auf Tourismus und Weinproduktion.

Die geographische, politische und finanzielle Realisierbarkeit – noch dazu rechtzeitig auf die Energiewende hin – ist völlig undenkbar, und zudem müsste man noch das enorme Speicherproblem lösen.

 

Die Speicherung wird zum zentralen Problem, auch global

Die Nutzung der 'neuen Erneuerbaren' steht und fällt mir der Stromspeicherung. Überhaupt wird sich diese als Schlüsselfaktor für die künftige globale Energieversorgung herausstellen.

Wenn unser Ersatz-Solarkraftwerk an einem schönen Tag während sechs Stunden 8 GW liefert, so geht 1 GW davon direkt in den Verbrauch, derweil wir die restlichen 7 GW während der sechs Stunden speichern müssen, um sie über Nacht, in den nächsten trüben Tagen oder gar für den nächsten Winter als Bandenergie abrufen zu können.

Für grosse Energiemengen und mit gutem Wirkungsgrad sind nur die Speicherseen geeignet [2]. Die Grande Dixence als grösstes derartiges Kraftwerk in der Schweiz kann mit der Leistung eines 1 GW-Kernkraftwerks jährlich etwa viermal gefüllt werden. Da beim Solarkraftwerk mehr als zwei Drittel der Leistung im Sommer anfallen, wären für die Deckung der wegen der Energiewende fehlenden 5 GW Band­energie im Winter insgesamt ein Dutzend neuer grosser Pumpspeicherwerke notwendig.

Bei der Windenergie sieht es etwas besser aus, aber es gibt immer wieder Wettersituationen, bei denen tagelang nirgends in Europa der Wind bläst. Und es braucht ja nicht einmal Flaute, denn wenn der Wind nur halb so stark weht wie bei der Auslegung der Turbine angenommen, hat man nur noch etwa 10% Leistung, da diese von der dritten Potenz der Windgeschwindigkeit abhängt. Demnach ergibt sich auch hier ein Speicherbedarf, um kurzfristige bis wochenlange Ausfälle zu kompensieren.

Um unsere so wichtige Autarkie beim Strom zu sichern, müssten also dringend neue Speicherseen gebaut werden. Die Realisierung ist wegen der Probleme (Geographie, Wasser zur Füllung, Investitionen, Naturschutz, Umsiedlungen) unklar. Und kein Politiker spricht davon!

Aufgrund der hydrologischen Verhältnisse funktionieren Speicherseen nur in Ländern wie der Schweiz. Global gäbe es nur die Umwandlung von Strom in chemische Energie, die man leicht lagern und transportieren kann. Der Wirkungsgrad der Umwandlung von Strom in chemische, dann wieder mechanische Energie ist aber gering, er beträgt beispielsweise bei der Wasserstoff-Technologie rund 25%. Dabei wären noch grosse logistische Probleme zu lösen: Wie baut man ein Tankstellennetz für flüssigen Wasserstoff (minus 250° C) für die Traktoren der Bauern in Afrika?

Betrachtet man die global benötigte Menge Primärenergie, heute etwa fast 100 Millionen Barrel Erdöl pro Tag, so erscheint die für eine Wende von 'Fossil' zu 'Erneuerbar' erforderliche chemische Speicherung nicht realisierbar. Man müsste, verglichen mit heute, viel mehr Primärenergie produzieren und würde viel davon wegschmeissen!

 

Geothermie ist Kernenergie ...

Als angeblich umweltfreundlich und erneuerbar wird von der Politik im Hinblick auf die Energiewende Geothermie angepriesen und gefördert. In Wirklichkeit wird Erdwärme genau wie in einem KKW durch nukleare Prozesse erzeugt, nämlich durch den Zerfall der in der Erdkruste vorhandenen Isotope Thorium-232, Uran-238 und -235 sowie Kalium-40.

Ein Beispiel für die sträfliche Unwissenschaftlichkeit der Politik: Bei den Zerfallsketten von Uran und Thorium entsteht – wie beim KKW – radioaktiver 'Abfall', z.B. das Edelgas Radon. Dieses entweicht leicht aus dem Gestein, sodass in vielen Gebäuden im Alpengebiet eine beträchtliche radioaktive Strahlung gemessen wird. Da das Radon mit der Luft eingeatmet wird und Alphateilchen emittiert, bestand grundsätzlich die Gefahr von Lungenkrebs. Eine detaillierte Studie der Universität Zürich zeigte aber, dass im Gegenteil die Häufigkeit von Lungenkrebs in der Schweiz in den Radongebieten geringer ist als an den Orten, wo es kein Radon gibt [3]. Trotzdem führt unser Bundesamt für Gesundheit ein mit viel Geld subventioniertes Sanierungsprogramm für 'Radon-gefährdete' Gebäude durch.

Im Gegensatz zu Uran und Thorium zerfällt Kalium-40 direkt zum Edelgas Argon oder zu einem Kalzium-Kern. Wichtig zu wissen: Kalium spielt bei den Lebensvorgängen auf der Erde eine wichtige Rolle, auch im menschlichen Metabolismus. Wir haben fast 200 Gramm davon in unserem Körper. Davon sind 0.1 Promille unvermeidlich das natürlich radioaktive Kalium-40. Das bedeutet, dass wir lebenslang jede Sekunde etwa 5000 radioaktive Zerfälle in unserem Körper haben. Jeder Mensch ist also mit 5000 Becquerel radioaktiv. Diese 5000 Becquerel entsprechen etwa der Radioaktivität der Fische in Fukushima, die als angeblich gefährlich entsorgt wurden, weil sie 100 Becquerel pro Kilo aufwiesen.

 

... und einen wesentlichen Beitrag kann sie nicht liefern

Der geothermische Temperaturgradient beträgt im Mittel etwa 25°C pro km Tiefe. Der Wärmefluss lässt sich aus dem Temperaturgradienten und der thermischen Leitfähigkeit des Erdbodens berechnen und ergibt weltweit im Mittel nur etwa 0.06 Watt/m2. In der Schweiz liegt er – je nach Konzentration der radioaktiven Elemente und der Wärmeleitfähigkeit des Bodens – etwa zwischen 0.04 und 0.1 W/m2.

Mit diesem geringen Wärmefluss lässt sich die Geothermie bei uns nicht nachhaltig nutzen. Der geothermische Wärmeertrag der Grundfläche von 500 m2 eines Einfamilienhauses beträgt nur 500 x 0.06 = 30 Watt, eine verglichen zum Wärmebedarf für die Heizung völlig verschwindende Energie. Bei einer Wärmepumpenheizung kommt noch dazu, dass man eigentlich gar keine Energie spart. Wenn man elektrische Energie aus Wasserkraft nutzt, ist diese eben dreimal mehr wert als thermische Energie. Und wenn man infolge des Ausstiegs aus der Kernenergie den Strom für die Wärmepumpe aus einem Fossil-Kraftwerk beziehen muss, braucht man praktisch genau so viel Energie wie wenn man direkt mit Gas heizen würde.

Und für ein Kraftwerk ist es noch schlimmer: Mit den möglichen Wirkungsgraden bräuchten wir für 1 GW Elektrizität etwa 5 GW Erdwärme. Mit 0.06 W/m2 Erdwärmefluss ergibt sich dafür eine Fläche von rund 100'000 km2, die in 5000 m Tiefe fast auf den Meter genau thermisch zu erschliessen wäre! Und da die Schweiz ja nur 41'000 km2 gross ist, könnten wir also nicht einmal ein halbes KKW ersetzen.

Der erneuerbare Teil der Erdwärme ist also vernachlässigbar klein. Diese lässt sich nur nutzen mit dem, was in der Fachliteratur 'Thermal Mining' genannt wird, d.h. man kühlt einfach einen Bereich des Erdbodens graduell immer mehr ab.

So wird neuerdings auf diese 'Tiefengeothermie' gesetzt, etwa bei Versuchen in Basel und St. Gallen. In Tiefen von 4000 - 5000 m liegt in günstigen Gegenden die Temperatur im Bereich von 150-200°C. Durch gewaltsame Frakturierung des Fels (mit der Gefahr von Erdbeben) soll eine Wasserzirkulation ermöglicht werden, und mit dem heissen Wasser oder Dampf kann man dann ein Fernheizungsnetz speisen. Strom produzieren kann man auch etwas, aber nur mit schlechtem Wirkungsgrad, weil die Temperaturen gering sind.

Können wir mit derartigem 'Thermal Mining' ein KKW ersetzen? In einem Kubikkilometer Fels bei 150 bis 200°C Temperatur ist eine gewaltige Wärmemenge gespeichert. Mit dieser Wärme könnten wir ein halbes Jahr lang 1 GW Elektrizität erzeugen. Dann aber wäre die Temperatur gefallen und die Tiefengeothermie-Anlage unbrauchbar geworden, und zwar praktisch für immer, denn das Wiederaufheizen durch den natürlichen Erdwärmefluss würde Tausende von Jahren dauern. Nachhaltig?

Die Geothermie ist also Kernenergie, nicht erneuerbar und höchstens für begrenzte lokale Anwendungen (Heizung) brauchbar. Sie kann keinen relevanten Beitrag bei der Energiewende leisten.

 

Sparen und Effizienzsteigerung ist Wunschdenken

Für die Energiewende seien Effizienzsteigerung und Stromsparen wichtig. Abgesehen davon, dass die graue Energie beim Ersatz von alten durch energetisch günstigere Geräte nirgends eingerechnet wird, können wir der Politik nicht gerade ein gutes Zeugnis ausstellen, da sie es nicht einmal geschafft hat, die 10 GW Abwärme aus unseren Kernkraftwerken für die Fernheizung zu nutzen. Zudem sind nicht die Apparateschilder, sondern das Verhalten der Konsumenten ist entscheidend, und dieses folgt nicht Zahlen, sondern Gefühlen. So wird die Hausfrau, die stolz eine neue eco-grüne Waschmaschine kaufte, mit gutem Gewissen aus hygienischen Gründen eventuell sogar noch mehr waschen.

Angesichts der in den nächsten Jahrzehnten zu erwartenden Verfügbarkeit von billigem Erdgas wird unser Gesellschaftssystem kaum wirksame Eingriffe des Staates in die persönliche Lebensweise dulden. Die vielen 'Lenkungsabgaben' sind reiner politischer Aktivismus, weitgehend wirkungslos, lediglich ein Heer von Beamten wird beschäftigt um zu berechnen, Ausnahmen zu verwalten, Rückzahlungen zu tätigen und Massnahmen zur 'sozialen Gerechtigkeit' zu finden. Und auch mit wirklich drastischen Massnahmen könnte wohl nur eine Stabilisierung und kaum eine Reduktion des Stromverbrauchs erreicht werden.

 

Energieforschung: Was bringt sie wirklich?

Die Politik wird nicht müde zu verkünden, dass eine mit genügend grossen Subventionen finanzierte 'Energieforschung' sicher die notwendigen neuen Technologien finden wird. Die Energieerzeugung ist aber voll durch die schon lange bekannten Naturgesetze bestimmt. Und diese kann man weder durch viel Forschung noch mit politischen Abstimmungen ändern.

Bei der Weiterentwicklung von Produkten und Verfahren der Energietechnologie sind einige Entwicklungen natürlich möglich, aber das ist Sache der Industrie, die es besser kann. Uns fehlen Beispiele dafür, dass Energieforschung als solche wirklich etwas gebracht hat. Ergebnisse, die sich letztlich in der Bereitstellung oder besseren Nutzung der Energie ausgewirkt haben, wurden stets durch Grundlagenforschung in Natur- und Ingenieurwissenschaften erarbeitet, und zwar ohne politische Weisungen und Subventionen.

 

[1] Bundesamt für Energie: Schweizerische Elektrizitätsstatistik 2012
[2] Hermann Pütter: Die Zukunft der Stromspeicherung. Naturwissenschaftliche Rundschau, 66. Jahrgang, Heft 2, 2013
[3] Georges Schüler und Matthias Bopp: Atlas der Krebsmortalität in der Schweiz 1970-1990. Basel, Birkhäuser-Verlag, 1992

 

 

[Veröffentlicht: September 2014]