Nachruf Jean-Pierre Blaser

 

Am 29. August 2019 verstarb Jean-Pierre Blaser im Kreis seiner Familie an seinem Wohnort Schneisingen, Aargau. Mit ihm verliert die Schweiz einen Wissenschafter, der die schweizerische Physik nachhaltig geprägt hat.

Jean-Pierre Blaser wurde am 25. Februar 1923 geboren und wuchs in Zürich auf. Nach der Matura begann er an der Universität Zürich mit dem Studium der Chemie und Mathematik. Im dritten Semester wechselte er auf Anraten von Professor Louis Kollros, der an der ETH Geometrie lehrte und wie Blasers aus La Chaux-de-Fonds stammte, an die ETH, um Physik zu studieren. Im Jahr 1948 diplomierte er bei Professor Georg Busch mit einer Arbeit in Infrarotspektroskopie. Blaser interessierte sich für Astronomie, fand aber kein Einvernehmen mit dem Lehrstuhlinhaber und wurde daher Assistent von Paul Scherrer. Zusammen mit Pierre Marmier und Peter Preiswerk beteiligte er sich massgeblich am Bau des ETH-Zyklotrons. Zwischendurch verbrachte er ein Jahr im Hochschulsanatorium Leysin, weil er sich im Militärdienst mit Tuberkulose angesteckt hatte. 1952 schloss er das Studium mit einer Dissertation über Protonen-Neutronen-Reaktionen ab.

Von 1952 bis 1955 weilte Blaser am Carnegie Institute of Technology in Pittsburgh. Am kurz zuvor in Betrieb genommenen 440 MeV-Synchrozyklotron forschte er in der Teilchenphysik, einem Gebiet, das sich aufgrund der neuen Teilchenbeschleuniger in einer stürmischen Entwicklung befand.

1955 wurde er zum Direktor des Observatoire de Neuchâtel berufen, und 1956 zum Professor für Astrophysik an der Université de Neuchâtel. Seine Arbeiten betrafen die Positionsastronomie sowie die neue, auf Atomuhren basierende Standardzeit.

1959 ernannte der Bundesrat Blaser zum Physikprofessor an der ETH Zürich, und zwar als Nachfolger des emeritierten Paul Scherrer. Von diesem übernahm er auch die Zyklotron-Planungsgruppe, an der neben der ETH auch verschiedene Schweizer Universitäten beteiligt waren. Blaser half mit, die Teilchenphysik als Forschungsgebiet in der Schweiz zu etablieren. Von 1962 bis 1970 leitete er das ETH-Labor für Hochenergiephysik, das seine Experimente vor allem am CERN durchführte.

1968 gründete Blaser das Schweizerische Institut für Nuklearforschung (SIN), das im aargauischen Villigen quasi auf die grüne Wiese gebaut wurde. Dieses konzipierte er als eine sogenannte Mesonenfabrik, die von der ETH betrieben wurde, aber allen Physikern der schweizerischen – und später auch ausländischen – Hochschulen als Benützerlabor zur Verfügung stand. Bis 1987 war Blaser der erste (und einzige) Direktor des SIN, das verglichen mit seinen direkten Konkurrenten in Los Alamos (LAMF) und in Vancouver (TRIUMF) grosse Erfolge verzeichnete, indem seine Beschleunigerleistung stets an der Spitze lag.

Ausschlaggebend für den Erfolg war neben Blasers Gespür für neue Entwicklungen sein Talent, junge motivierte Physiker und Ingenieure um sich zu scharen, sie zu begeistern und ihnen einen grosszügigen Freiraum für Ideen zu gewähren. Besonders fruchtbar für das SIN war zudem Blasers Teamarbeit mit seinem Stellvertreter Wilfred Hirt. Frühzeitig erkannte Blaser weitere mögliche Anwendungen für das Protonenzyklotron des SIN, an dem beispielsweise von Anfang an ein Forschungsareal für Krebstherapie mit Teilchenstrahlen eingeplant war.

Dank des Potenzials der Beschleunigeranlagen, Blasers unternehmerischer Vision und der Freiheit beim Einsatz der eigenen Mittel vermochte das SIN neben der hauptsächlichen Teilchenphysik im Mittelenergiebereich laufend weitere Forschungsgebiete zu erschliessen. Diese betrafen ausser der erwähnten Krebstherapie mit Pionen und der medizinischen Positron-Emissions-Tomographie (PET) vor allem die Untersuchung von Materie mittels Neutronen und Myonen sowie Einzelaspekte der Kernfusionstechnik.

Als der Schweizerische Schulrat 1986 vertiefte Studien für die Zukunft der beiden Institute für Nuklearforschung (SIN) und Reaktorforschung (EIR) in Auftrag gab, leitete Blaser das Projekt, das schliesslich zur Fusion der beiden Institute führte. 1988 entstand daraus das Paul Scherrer Institut (PSI). Blaser wurde dessen erster Direktor. Er führte das Institut bis zu seiner Pensionierung im April 1990 und stellte wichtige Weichen bei dessen Neuausrichtung zu einem nationalen, multidisziplinären Zentrum, das zur Aufgabe hat, in enger Zusammenarbeit mit in- und ausländischen Hochschulen Grundlagen- und angewandte Forschung zu betreiben.

Blaser war Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gesellschaften, unter anderem Ehrenmitglied der SPG, und Akademien und erhielt fünf Ehrendoktorate. Mit diesen würdigten vor allem auch Schweizerische Hochschulen Blasers eminenten Beitrag zur Entwicklung der Physik.

Eine bemerkenswerte Eigenschaft von Jean-Pierre Blaser war die Bereitschaft, Aussagen mit physikalischem Hintergrund stets kritisch zu prüfen. Als Professor, der vor allem die Ingenieurstudenten der ETH Physik lehrte, kannte er sich in den physikalischen Gesetzen gründlich aus. Das erlaubte ihm, Behauptungen, die von Gesprächspartnern oder in Medien und Politik geäussert wurden und ihm nicht einleuchteten, schnell nachzurechnen. Lagen die Resultate daneben, äusserte er sich entsprechend – was ihm nicht nur Freunde einbrachte. Blaser vertrat die Ansicht, es sei Aufgabe der Wissenschaft, einzugreifen, wenn die Politik sich auf wissenschaftlich unhaltbare Behauptungen stützte. So befasste er sich gerade in den letzten Jahren seines Lebens auch mit Fragen der Energieversorgung und der Klimaveränderung und äusserte sich dann kritisch, wenn Behauptungen physikalisch nicht oder ungenügend abgestützt waren.

Andreas Pritzker

 

 

[Veröffentlicht: Oktober 2019]