Die Replik von Ernst Bucher in den SPG Mitteilungen Nr. 50 auf den Blaser/Pritzker Artikel (SPG Mitteilungen Nr. 44) hat anscheinend eine weiterführende Diskussion über Energiepolitik unter unseren Mitgliedern angefacht. Das ist begrüssenswert, denn selbst wenn gewisse Ausstiegsszenarien sich mittlerweile politisch abzeichnen, gilt es immer noch, neue Lösungsvarianten zu verifizieren und gegebenenfalls ihre grossindustrielle Umsetzung zu konsolidieren. Das erfordert im Blaser/Pritzkerschen Sinne eine aktive Teilnahme von uns Physikern‚ aber "sine ira et studio", also sachlich geführt und physikalisch abgestützt.
Im folgenden Text verweist SPG-Mitglied Claudio Palmy unter anderem auf die Tatsache, dass die von E. Bucher angesprochenen dezentralisierten Speichertechnologien wie die der Synthese von Methanol noch der grosstechnischen Verifizierung harren. Übrigens: Im Interview mit Reto Holzner wird dazu aus erster Hand Stellung genommen.
Weiter betont Herr Palmy die Notwendigkeit, dass in der Schweiz die Kompetenz in Nukleartechnologie erhalten bleiben muss, unter anderem aus einem bislang wenig beachteten Grund: Es ist leider nicht mehr auszuschliessen, dass das weltweite Nuklearwaffenarsenal massiv ausgebaut werden wird. Das bedarf dann mehr denn je einer international anerkannten Vertrauensnation (Honest Broker) mit einem kompetenten Netzwerk aus staatlichen Labors und Hochschulinstituten. Hier könnte die Schweiz im Sinne ihrer Tradition eine wichtige Friedensrolle übernehmen, so wie es bereits beispielhaft vom ABC-Labor Spiez des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz im leider auch aktuellen Fall des Nachweises chemischer Kampfstoffe praktiziert wird.

BB

 

Kern- und erneuerbare Energien

Claudio Palmy, Igis-Landquart

 

Die Physiker Jean-Pierre Blaser und Andreas Pritzker haben im Jahr 2014 in einem Beitrag: "Energiepolitik, wo ist die Stimme der Physiker ?" (SPG Mitteilungen Nr. 44 (2014)) die Kernelemente der Elektrizitätsversorgung unseres Landes skizziert. Sie haben dabei unterstrichen, wie bedeutungsvoll unsere Kernkraftwerke gegenwärtig und in naher Zukunft sind. Sie haben auch aufgezeigt, weshalb unser Landesbedarf an Elektrizität nicht durch Solarkraftwerke allein und schon gar nicht kurzfristig (20 - 30 Jahre) gedeckt werden kann.

In den SPG Mitteilungen Nr. 50 (2016) sagt der Festkörperphysiker Ernst Bucher in einer Stellungnahme unter dem Titel: "Regenerative Energien", die Analyse sei korrekt. Hingegen seien, aus der Sicht der erneuerbaren Energien, andere Folgerungen möglich. Er sagt auch, die Frage der Speicherung elektrischer Energie im Jahresverlauf sei tatsächlich zentral, da wir im Sommerhalbjahr eine Überproduktion an Fotovoltaik-Strom und im Winterhalbjahr einen entsprechenden Mangel haben.

Ernst Bucher sieht in Pumpspeicherwerken der GW Klasse, entsprechend dem neuen Linth-Limmern Werk, einen möglichen Anfang. Das grösste derartige Kraftwerk in der Schweiz ist die Grande Dixance. Um ohne Kernkraftwerke die im Winter fehlenden 5 GW an Bandenergie zu speichern, sind aber insgesamt ein Dutzend grosser Speicherkraftwerke nötig. Diese Speicherkapazität könnte aber, so Ernst Bucher, durch dezentrale chemische Speicher, vorab durch neuere Methanol-Technologien, reduziert werden. Methanol würde je nach Bedarf durch eine Gasturbine verstromt. Allein, diese Technologie steckt noch im Prototyp-Stadium und müsste zumindest in einer grösseren Anlage von etwa 100 MW auf ihr Praktikabilität und Wirtschaftlichkeit hin getestet werden.

Für Ernst Bucher ist der Artikel von Jean-Pierre Blaser und Andreas Pritzker auch ein Plädoyer für die Weiterführung der Kernkraft-Technologie. Die Frage ist dabei nur, warum das falsch sein soll? Alle grossen Industrienationen, mit Ausnahme von Deutschland, setzten auf die Elektrizitätserzeugung durch Kernenergie. In Russland und Asien stehen 30 Kernkraftwerke im Bau und 50 sind im fortgeschrittenen Planungsstadium. In den USA und in Westeuropa sind Kernreaktoren der 4. Generation in Entwicklung, neue Anlagen im Bau und in der Planungsphase.

Es gibt gute Gründe für neue Kernkraftwerke. Die Nachfrage nach Strom nimmt in unserem Land und weltweit zu. Die Preisstabilität der Kernenergie gewährt eine hohe Versorgungssicherheit, wogegen die erneuerbaren Energien noch nicht wirtschaftlich und schwer zu regeln sind. Weiter gebieten die Klimaschutzvereinbarungen geradezu eine treibhausgasfreie Elektrizitätserzeugung.

Ein oft unbeachteter Nachteil von der Verabschiedung aus der Kernkraft-Technologie besteht im Verlust von Know-how. Dies, weil Nukleartechnik (leider) in der Rüstungsindustrie ganz zentral eingesetzt wird. Dabei zeigen einige Gesellschaftsstrukturen ganz offiziell ein Machtgebaren und sprechen Drohungen aus, die nicht unserer Werthaltung entsprechen. Es gibt einen internationalen Atomwaffensperrvertrag. Wer sich aber von der Nukleartechnologie verabschiedet, verfügt über kein qualifiziertes Personal, um diesen Vertrag zu überwachen und Druck auf Nichtmitglieder auszuüben. Wer von Gefahren der Atomtechnik spricht, sollte in erster Linie sein Augenmerk auf die Kernwaffen richten. Ihre Konzeption ist auf möglichst grosse Zerstörung gerichtet, während die Auslegung von Kernkraftwerken auch im schlimmsten Fall das Schadenpotenzial begrenzt.

Die Diskussion Pro und Kontra Kernenergie haben fachliche, politische und ideologische Komponenten. Diese wurzeln in der Geschichte der Entdeckung, der Forschung und der Anwendung der Kernphysik. Der Disput darüber sollte deshalb aus allen Perspektiven geführt werden. Wir müssen den kommenden Generationen die Argumente nennen, die uns für diesen oder jenen Weg entscheiden liessen.

 

[Veröffentlicht: März 2017]