Nationale Förderinitiativen zur Stärkung des Wissenstransfers zwischen Hochschule und Industrie

Bernhard Braunecker

 

Die Wohlfahrt eines Staates hängt vom Erfolg seiner Wirtschaft ab. Sie erlaubt ihm die Finanzierung der Hochschulen, deren Forschungsergebnisse wiederum Grundlagen zukünftiger industrieller Produktentwicklungen bilden. Die in der Schweiz traditionell praktizierte Gleichbehandlung von Denk- und Werkplatz hat zur heutigen Prosperität entscheidend beigetragen. Der Wissenstransfer zwischen den beiden muss jedoch permanent optimiert werden, und zwar in beiden Richtungen. Dafür bestens geeignet sind nationale Schwerpunktsprogramme.

Bidirektionaler Wissenstransfer

Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist, dass im Gegensatz zur reinen Hochschulforschung, deren Ziele langfristig und primär auf Innovationen ausgerichtet sind, die Industrie ihre Hauptressourcen in kurzfristig angelegte Produktentwicklungen stecken muss. Massgebliches Kriterium für den industriellen Markterfolg ist der mit den Produkten zu erzielende Kundennutzen, der immer öfters nur durch den Einsatz komplexer neuer Technologien erbracht werden kann. Die Industrie verfügt jedoch meist nicht über die erforderlichen freien Kapazitäten und oft auch nicht mehr über die Fähigkeiten, die Grundlagen für neue Technologieansätze selbst zu entwickeln. Sie ist daher auf eine Kooperation mit Hochschulen und nationalen Forschungsstätten wie CSEM oder EMPA angewiesen.
Andererseits ist die industrielle Technologieumsetzung Teil einer langfristig angelegten und global ausgerichteten Marktstrategie, deren Kenntnis für die Hochschulen durchaus nützlich ist. Sie kämen bei einer Kooperation mit Problemstellungen in Kontakt, deren Lösungen in drei bis fünf Jahren von wirtschaftlicher und damit gesellschaftlicher Bedeutung sein werden. Das würde nicht nur ihre Chancen erhöhen, leichter an Drittmittel zu gelangen, sondern käme vor allem der Qualität der Ausbildung ihrer Studenten zugute, da diese gut vorbereitet in die Industrie überwechseln können. Kurzum, eine enge Verzahnung von Hochschule und Industrie unter Beachtung gegenseitiger Interessen würde allen Beteiligten zum Vorteil gereichen.

Erfolgreiche Schwerpunktsprogramme

Die nationalen Schwerpunktsprogramme hatten ihre Blütezeit in der Dekade nach 1990 und gelten rückblickend aus Sicht damals beteiligter Firmen als nachhaltiger Erfolg. An Programmen wie Optique I / II, LESIT, Top Nano21 etc. beteiligten sich nahezu alle Hochschulen (nicht nur die ETHs) und viele Firmen aus allen Landesteilen der Schweiz. In den Programmen wurden Grundlagen für neue Technologien in einer Vielzahl von Dissertationen erarbeitet, deren Fortschritte von Hochschule und Industrie laufend gemeinsam beurteilt wurden. In Optique II beispielsweise wurde die Montage komplexer Optiksysteme auf nur 1 cm2 Fläche mit von der EPFL entwickelten Minirobotern zu industrieller Reife gebracht, eine Technologie, die heute zur serienmässigen Fertigung von Präzisionsinstrumenten eingesetzt wird (Figur). Die in Top Nano21 behandelten Grundlagenprojekte führten zu einem profunden physikalischen Verständnis der Nano-Welt mit Auswirkungen auf die moderne Chemie, Biologie, Medizin und Ingenieurwissenschaft.

Vorteile der Förderprogramme

Die Programme wurden trotz allgemein positiver Beurteilung unverständlicherweise zurückgefahren, vermutlich aufgrund massiver finanzieller Beteiligungen der Schweiz an EU-Programmen. Eine aktive Teilnahme an diesen ist jedoch zumindest für kleinere Industriebetriebe wegen des erforderlichen Aufwands an Administration und politischem 'Lobbying' oft nicht lohnend. So wurden in der Folge die Industriebelange auf rein problemfokussierte KTI-Projekte reduziert, die bilateral zwischen einzelnen Firmen und Instituten durchgeführt werden. Sie sind zweifelsohne notwendig, aber für die Grundlagenentwicklung nur bedingt geeignet.

Die Industrie reagierte nur verhalten auf das Auslaufen der Schwerpunktsprogramme. Ein wesentlicher Grund war, dass damals die Umsetzung der erarbeiteten Technologien in Produkte anstand, was alle Ressourcen band, und die bei grösseren Firmen zunehmend mit Firmenkollegen in aller Welt geschah. Das brachte zwar wertvolle Erfahrungen wie die über moderne Fertigungsmethoden im asiatischen Raum, aber es ging auch klar zu Lasten der Zusammenarbeit mit schweizerischen Hochschulen. Andererseits zeigte sich auch bald, dass im Fall der Grundlagenentwicklung, wo es primär um die Grenzen der physikalisch-technischen Machbarkeit geht, die unterschiedlich kulturellen Hintergründe eher behindernd als fördernd waren. Das gern zitierte Beispiel, wonach ein Entwicklerteam in der Schweiz ein Projekt mit 1% Genauigkeitsanforderung durchzieht, dies im gleichen Zeitraum in USA aber für zehn Projekte mit 10% Genauigkeit geschieht, illustriert, wenn auch vereinfachend, das Konfliktpotential.
Da nunmehr der Zeitpunkt gekommen ist, neue Technologieentwicklungen anzugehen, sollte man sich der Vorteile der nationalen Schwerpunktsprogramme erinnern. Neben dem eigentlichen Wissenstransfer erwies sich vor allem die Netzwerkbildung innerhalb der Schweiz, also innerhalb kurzer informeller Wege, als sehr wertvoll. Im Folgenden sei deshalb für eine Renaissance der Schwerpunktsprogramme geworben, um anstehende wichtige Fragestellungen mit der nötigen Effizienz anzugehen. Die dazu erforderliche Fachkompetenz auf beiden Seiten kann von Physikern erbracht werden.

Nationale Förderprogramme sind ein bewährtes Mittel, die wissenschaftliche Kompetenz der Hochschulen und die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie zu erhöhen. Gefördert werden sollte die Entwicklung von Zukunftstechnologien, die von der Industrie aufgrund von Marktvorhersagen und von den Hochschulen aufgrund von Machbarkeitsanalysen gemeinsam als aussichtsreich beurteilt werden. Den Hochschulen sind dabei der nötige Freiraum und die erforderliche Finanzierung vom Staat zu gewähren, während die Industrie nicht direkt finanziell unterstützt werden sollte, da dies zu Abhängigkeiten und Interessenskonflikten führen würde. Hingegen soll und muss sie Zugriff auf die Hochschulergebnisse bekommen. Die schweizerischen Akademien können aufgrund ihrer Kenntnis beider Parteien und ihrer gesellschaftlichen Verankerung eine wichtige begleitende Rolle spielen.

 

Die Rolle der Physiker in der Industrie

Industriephysiker sind oft als Vorentwickler im Bereich zwischen Technologie- und Produktentwicklung tätig und müssen somit die Grundlagenstudien über neue Technologieansätze verfolgen. Sie können deshalb die eigentliche Technologieentwicklung an den Hochschulen aktiv begleiten, zum Beispiel durch Mitbetreuung von Doktoranden und Post-Docs an den Hochschulen oder direkt in der Industrie. Zeichnen sich fundamental neue Technologieansätze ab, war und ist es durchaus üblich, diese, sofern sie noch produkt- und marktfern sind, innerhalb einer Interessengemeinschaft ('Community') gemeinsam mit Kollegen anderer Firmen zu untersuchen, ein Vorgehen, das in anderen Ländern die Regel ist. Dadurch lassen sich Risiken und Chancen für die geplante eigene Produktreihe im Voraus besser abschätzen. Das kann aber nur - und hier schliesst sich der Kreis - innerhalb national aufgesetzter, staatlicher Förderinitiativen geschehen. Dazu sollten jedoch gewisse Verhaltensregeln beachtet werden.

Kulturkonflikte

Jede Zusammenarbeit zwischen Partnern aus verschiedenen Lagern bedarf des Verstehens der 'Kultur' der Gegenseite, also der Erfolgskriterien, denen diese in ihrem Umfeld unterstellt ist. Diese erscheinen beim Wissenstransfer zwischen Hochschule und Industrie zunächst als unvereinbar, denn steht bei den Hochschulen die Publikation der Forschungsergebnisse im Vordergrund, unterliegt die Industrieforschung in der Regel der Geheimhaltung. Auch kann sich die Industrie nur dann aktiv in eine Kooperation einbringen, wenn sich ein wirtschaftlicher Nutzen zumindest mittelfristig erwarten lässt, während für die Hochschule die Forschung auftragsgemäss zweckfrei sein soll.
Als Beispiel eines solchen 'Kulturkonflikts' sei die Publikation einer von der Hochschule im Rahmen einer Kooperation erfolgreich durchgeführten Technologieentwicklung genannt, die von ihr spätestens zum Zeitpunkt der Übergabe an die Industrie vorgenommen werden muss. Aber selbst dieser späte Zeitpunkt ist für die Industrie immer noch denkbar unpassend, da sie gerade ab dann mit der ingenieurmässigen und damit oft hochsensitiven Umsetzung in ein Produkt beginnen kann. Das offensichtliche Dilemma ist, dass innerhalb der Wertschöpfungskette von der Technologie- zur Produktentwicklung Hochschule und Industrie zu völlig verschiedenen Zeiten an die Öffentlichkeit gehen können. Dieser Konflikt lässt sich jedoch lösen, wenn bestimmte Randbedingungen bei der Gestaltung der Programme beachtet werden.

 

Gestaltung staatlicher Förderinitiativen

Die Erfahrung mit den Schwerpunktsprogrammen zeigt, dass bei deren Konzipierung folgende Grundsätze eingehalten werden sollten:

  • Die Themenstellung muss einvernehmlich von Industrie und Hochschule formuliert werden. Wie bereits angesprochen, kennt die Industrie aufgrund ihrer weltweiten Präsenz die marktspezifischen Erwartungen und Möglichkeiten und kann daraus Spezifikationen der zu entwickelnden Technologien ableiten. Gerade in der Definitionsphase braucht es neben dem hochschulspezifischen 'Technology Push' den industriellen 'Market Pull'.
  • Die Förderung muss breit angelegt sein, sollte also viele KMUs und 'Spin-off' Firmen einbinden, um eine vollständige Abdeckung des notwendigen Kompetenzspektrums zu erreichen. Kleinere Firmen sind oft gerne bereit mitzuwirken, wenn sie administrativ entlastet werden. Ihre Teilnahme führt über das Programmende hinaus zu der erwähnten Netzwerkbildung.
  • Die Förderung muss Kontinuität gewährleisten, denn Technologieentwickung ist ein evolutionärer, Kontinuität erfordernder Vorgang. Erfahrungsgemäss entwickeln sich aus gut laufenden Projekten wiederum Erkenntnisse, die zu neuen signifikanten Fragestellungen führen. Jede bedeutende Technologieentwicklung war ein mehrfaches Pendeln zwischen Methodik und Applikation, und dieser Prozess darf nicht unterbrochen werden.
  • Die Förderung muss in geeigneter Form die Kompetenzen von Industrie und Hochschule verbinden. Zwar ist in der Startphase eher das Innovationsvermögen der Hochschule gefragt, während die Umsetzung in Produkte und Applikationen dann mehr die Aufgabe der Industrie ist. Dennoch muss die Industrie die Startphase mit Eigenleistungen begleiten, und umgekehrt muss während der Produktisierung der Kontakt zu den Hochschulen weiterhin gewährleistet sein, um bei Problemen prinzipieller Art weiter zu kommen.
  • Die Förderung muss den Erwartungen von Industrie und Hochschule genügen. Hier kommen wir zum oben erwähnten Publikationsproblem zurück. In der Regel wird eine Zusammenarbeit so ablaufen, dass die beteiligten Industrien primär ihre Applikationen definieren und diese, basierend auf dem gewählten Technologieansatz, für ihr spezifisches Anwendungsfeld ('Field of Use') patentieren. Die Hochschulen, denen die Grundlagenentwicklung obliegt, müssen wählen, ob sie ihre Ergebnisse publizieren oder patentieren wollen. Falls letzteres der Fall sein sollte, geben sich beide Seiten das Recht der lizenzfreien Benutzung beider Patente unter Respektierung des jeweiligen Anwendungsfeldes der anderen Seite.

Vorwärtsstrategie zur Lösung des Kulturkonflikts

Durch die Patentierung wird nicht nur das Publikationsproblem entschärft, sondern auch ein neuer positiver Aspekt eingebracht: Jede Technologie sollte möglichst breit angewendet werden, denn sie zum Eigengebrauch allein einzusetzen, schöpft meist das ihr inne liegende Potential nicht aus. Deshalb praktizieren gerade High-Tech-Firmen die weltweite Vermarktung einer beherrschten Technologie als OEM-Modul ausserhalb ihres Produktspektrums unter Erhebung von Lizenzgebühren. Somit wird die von der Hochschule angestrebte internationale Publizierung der Technologie zum wertvollen Werbe- und Marketingfaktor einer Lizenzierung, und dies zum Vorteil beider Parteien.
Allerdings sei nicht verhehlt, dass die Frage, ob die Hochschulen aus der Forschungskooperation mittels Patentlizenzen Geld verdienen, also unternehmerisch tätig sein sollen, wie es mittlerweile auch in der Schweiz üblich ist, von der Industrie mit gemischten Gefühlen betrachtet wird. Denn die Gefahr besteht, dass trotz der erwähnten Patentabgrenzung Hochschule und Industrie sich irgendwann ins Gehege kommen, da sich die ursprünglich fixierten Anwendungsfelder aus Gründen der Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit verschieben und somit überlappen können. Die Hochschulen würden dann zur staatlich finanzierten und oft steuerfrei agierenden Konkurrenz, was nicht nur einer Missachtung wirtschaftsliberaler Grundsätze gleichkäme, sondern auch die Nützlichkeit der nationalen Kooperationen für die Industrie infrage stellen könnte. Denn dann müsste man konsequenterweise das 'asiatische' Beispiel übernehmen, wo die Industrie in der Anfangsphase einer Technologie- oder Produktentwicklung vom Staat massiv unterstützt wird. Nur stünde dies quer zu den bewährten liberalen Wertvorstellungen der schweizerischen Industrie.

Vorgehen

Als Beispiele für neue Schwerpunktsprogramme seien die auf der Nanotechnologie aufbauenden multifunktionalen Werkstoffe auf Keramik- oder Polymerbasis, die Substituierung Seltener Erden, sowie neue hoch integrierte Sensorkonzepte für satellitenbasierte Erdbeobachtung oder auch die industrielle Umsetzung der Physik der Kurzzeitphänomene genannt. Bei der Auswahl sollte zum einen die physikalische Verifizierung der Grundlagen erfolgt sein, um für den nötigen 'Technology Push' zu sorgen, zum Beispiel durch vorangehende Programme des Schweizerischen Nationalfonds, zum anderen sollte die Marktattraktivität hinsichtlich einer angestrebten industriellen Realisierung gesichert sein.
Bei der Beurteilung beider Faktoren können die schweizerischen Akademien eine wichtige Rolle spielen. Sie sind im Gebiet der Naturwissenschaften, Technologie und Medizin gut untereinander vernetzt, und sie kennen sowohl die Kompetenzen der Hochschulinstitute als auch die Bedürfnisse der Wirtschaft. So wird zum Beispiel in der neuen Forum Serie der Schweizerischen Akademie der Technischen Wissenschaften SATW das Chancenpotential neuer Technologieansätze mit Hochschul- und Industrievertretern diskutiert, um gegebenenfalls die Bildung einer Interessengemeinschaft zu initiieren. In den Akademien werden auch in eigenen Kommissionen ethische Fragen behandelt. Deren Erkenntnisse sollten gewichtig in die Programmdefinitionen einfliessen, um später eine nachhaltige Akzeptanz der Programmergebnisse durch Politik, Gesellschaft und Öffentlichkeit zu gewährleisten.

 

Optique II Programm des ETH Rates von 1996-1999:

Anzahl durchgeführter Projekte:     36
Anzahl teilnehmender Industrien:     32
Öffentliche Mittel (CHF in 4 Jahren):     32 Mio
Eigenleistungen der Industrie (CHF):     19 Mio
Anzahl durchgeführter Doktorarbeiten:     80
Anzahl wissenschaftlicher Publikationen:     490
Anzahl Patente:     26
Anzahl gegründeter Start-Up Firmen:     7

 

[Veröffentlicht: Februar 2012]