Nachfolgend finden Sie die drei einleitenden Kapitel aus dem SPS Focus No. 1 in einer deutschen Übersetzung.
Heutzutage deckt die Kernenergie etwa 10 % der weltweiten Stromerzeugung ab, gegenüber 13 % im Jahr 2010. Die weltweite Stromerzeugung ist im selben Jahrzehnt um 25 % gestiegen, was bedeutet, dass die absolute Menge des durch Kernenergie erzeugten Stroms fast konstant geblieben ist mit einem leichten Rückgang von 3 % in zehn Jahren. Darüber hinaus sind neue Anlagen im Bau oder in Planung, und der Anteil der durch Kernspaltung erzeugten Elektrizität wird weltweit wieder ansteigen. Der Anteil der erneuerbaren Energien (Wasserkraft, Solarenergie, Windkraft, Geothermie, Bioenergie, Wellen- und Gezeitenenergie) an der Stromerzeugung ist von 20 % im Jahr 2010 auf 29 % im Jahr 2020 angestiegen, wobei die Wasserkraft nach wie vor den grössten Beitrag leistet. Der Rest entfällt auf fossile Brennstoffe, die im Jahr 2020 einen Anteil von 61 % (2010: 67 %) an der weltweiten Gesamtstromerzeugung hatten.
Nach der Katastrophe in Fukushima vor zehn Jahren beschlossen viele westliche Länder den Ausstieg aus der Kernenergie, darunter auch die Schweiz. Die vollständige Ablösung der Kernenergie durch erneuerbare Energien ist das erklärte Ziel, aber auch die Ablösung der fossilen Energieträger für die Energieerzeugung für Verkehr, Heizung, Produktion und Fertigung, Elektrizität usw. muss in den nächsten Jahrzehnten erreicht werden.
Selbst wenn diese Probleme in Zukunft gemeistert werden können, bleibt die kontinuierliche Versorgung mit erneuerbaren Energien immer noch schwierig und teuer, solange das Problem der Energiespeicherung nicht gelöst ist. Dies bewog Länder wie die USA, Indien, China, Frankreich, das Vereinigte Königreich, Finnland und weitere, die Kernenergieerzeugung nicht einzustellen, sondern im Gegenteil neue Generationen von Kernkraftwerken zu planen und zu bauen. Sie erkannten, dass moderne Konzepte die Probleme der derzeitigen Kernreaktoren beseitigen können, und dass sie höhere Sicherheit und bessere Wirkungsgrade bieten. Außerdem lässt sich die Erzeugung langlebiger Isotope vermeiden, die sonst als nukleare Abfälle verbleiben würden, und sie ermöglichen den Abbau bereits vorhandener nuklearer Abfälle auf ein Niveau, bei dem keine langfristigen Belastungen mehr auftreten werden. Diese Länder betrachten Nukleartechnologien als relevante Quellen für die Energieerzeugung für viele Jahrzehnte in Zukunft.
Es ist wichtig, aus erster Hand über den aktuellen Stand der Kerntechnologien informiert zu werden. Da die vorhandenen langlebigen nuklearen Abfälle auch nach dem Ausstieg aus der Kernenergie entsorgt werden müssen, sind diese neuen Technologieansätze bereits jetzt von unmittelbarer grosser Bedeutung.
Die folgenden drei Artikel, die von angesehenen Autoren verfasst wurden, beschreiben den Stand der Technik von Uranspaltanlagen der neuen Generation (W. Kröger), die Verwendung von Thorium anstelle von Uran als Brennstoff für Kernspaltung (M. Bourquin) und schliesslich die Roadmap der Kernfusionskonzepte (L. Porte).
Unsere Motivation als nationale physikalische Gesellschaft ist aufzuzeigen, dass die Kernspaltungstechnologie nicht das Produkt zweier Generationen vor unserer Zeit war und somit heute eine auslaufende Technik, und dass die Fusionstechnologie nicht erst das Produkt von Generationen nach uns sein wird und somit eine Utopie. Sowohl die Kernspaltung als auch die Kernfusion beruhen auf einem profunden physikalischen Verständnis der zugrunde liegenden Prozesse, und beide sind zur Sicherstellung des weltweit benötigten Stromanteils von morgen von wichtiger Bedeutung.
Das Ziel einer nachhaltigen und globalen Energiepolitik muss daher sein, erneuerbare und nukleare Energieerzeugung als zwei komplementäre Technologien zu betrachten, die sich aufgrund ihrer unterschiedlichen Betriebskonzepte vorteilhaft ergänzen, und die zusammen eine zuverlässige, umweltfreundliche und kostengünstige Energieversorgung in der Zukunft gewährleisten.
Die Nichteinhaltung der Klimaziele wird zu beispiellosen Katastrophen für das Ökosystem des gesamten Planeten führen, die sich auf alles Leben auswirken und die Gesellschaft als Ganzes weltweit betreffen werden. Angesichts der gewaltigen Aufgabe, die vor uns liegt, die Energieversorgungsketten der Welt in nur wenigen Jahrzehnten vollständig zu verändern, müssen alle klimafreundlichen Optionen verfolgt werden, wozu auch die neuen und modernen Konzepte der Kernenergie gehören.
Kürzlich wurde ein gemeinsamer Bericht von zwei großen US-amerikanischen Denkfabriken veröffentlicht, in dem eine umfassende Strategie für die USA festgelegt wurde, um weltweit führend in der fortgeschrittenen Kernenergie zu werden. Die Strategie skizziert die nationalen und internationalen Aktivitäten, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die USA bei der Entwicklung und dem Einsatz von Nukleartechnologien der nächsten Generation durch die Zusammenarbeit von Regierung, Industrie, Zivilgesellschaft und anderen Nationen führend sein können. Und weiter heisst es: "... Damit die Vereinigten Staaten - ganz zu schweigen von der Welt - die Klimaziele für die Mitte des Jahrhunderts erreichen können, benötigen wir eine Reihe neuer kohlenstofffreier Energietechnologien, darunter fortschrittliche Kernreaktoren für die Strom- und industrielle Wärmeerzeugung. Dieser Bericht legt einen Plan vor, wie Amerika zum Weltmarktführer in dieser sauberen Industrie der Zukunft werden kann." | ![]() |
Eine nachhaltige und globale Energiepolitik erfordert die sorgfältige Abwägung zwischen den Erfordernissen des Klimaschutzes, einer zuverlässigen Energieversorgung, der Wirtschaftlichkeit und der öffentlichen Meinung. Dazu muss neben dezentralen, kleineren und umweltfreundlicheren Produktionseinheiten zusätzlich auch die Entwicklung neuer grosser, nicht-fossiler Kraftwerke in Betracht gezogen werden, die sicher, umweltfreundlich und wirtschaftlich Energie kontinuierlich und zuverlässig produzieren. Zusammen mit der aus Wasserkraft- und Windanlagen erzeugten Energie gehört nuklear erzeugte elektrische Energie zu den Produktionstechnologien mit den geringsten Treibhausgas- und Luftverschmutzungsemissionen, wenn man ihren gesamten Lebenszyklus betrachtet. Allerdings muss dazu die Kernenergie noch viele ihrer bekannten Hürden in Bezug auf Sicherheit, Abfallentsorgung und Nichtverbreitung überwinden. Diese Herausforderungen können sich jedoch als Chance erweisen, da die dazu erforderlichen technischen Innovationen das Wirtschaftswachstum stark ankurbeln können.
Der derzeitige Entwicklungsstand innovativer Methoden der Kerntechnik für die Energieerzeugung wird in drei Artikeln behandelt.
Neuartige Reaktorkonzepte
Um die weitreichend gesteckten Klimaschutzziele zu erreichen, ist ein hohes Mass an Dekarbonisierung notwendig. Deshalb setzen verschiedene Länder auf einen Energiemix, der neben Wind- und Sonnenenergie auch die Kernenergie zentral in deren Energiestrategie einbindet. Dazu müssen die Kernreaktoren vorerst katastrophenfrei gemacht, die Brennstoffe besser ausgenutzt und die Frage der Endlagerung und der Proliferationsrisiken, das heisst der unerlaubten Weitergabe von Materialien und Technologien, gründlich geklärt werden. Dies versprechen die in der Entwicklung befindlichen neuen Ansätze, die anstelle von Wasser Inertgas, also reaktionsträge Edelgase, oder Blei-, Natrium- oder Salzschmelzen als Kühlmittel einsetzen. Dank der Verwendung schneller Neutronen kann der eingesetzte Brennstoff "gebrütet", das heisst ein weiteres Mal zur Energiegewinnung verwendet werden, und dabei auch bereits vorhandene nukleare Abfälle (Aktiniden) mit Halbwertszeiten von mehreren hunderttausend Jahren transmutieren, das heisst umwandeln in Materialen mit deutlich kürzeren Halbwertszeiten. Besonders attraktiv erscheinen kleine modulare und gasgekühlte Reaktoren, die für moderne Stromnetze und Marktmodelle sich eignen und die bald marktreif sein könnten.
Thorium-basierte Systeme
In verschiedenen Teilen der Welt werden bereits innovative Systeme auf der Grundlage von Thorium als Brennstoff entwickelt. Sie sollen einen Beitrag zum Klimaschutz und zur Verringerung der Luftverschmutzung leisten, indem sie Strom erzeugen und gleichzeitig die radioaktiven Abfälle aus früheren und noch laufenden Kernspaltungsanlagen weiter verbrennen. Thorium-Brennstoffkreisläufe unterscheiden sich von den herkömmlichen Uran-Brennstoffkreisläufen in mehreren wesentlichen Aspekten und können somit beitragen, in Zukunft die wichtigsten Probleme der Kernkraftwerke der letzten Generation zu lösen. Erstens ist Thorium reichlicher vorhanden und auch geografisch weiter verbreitet als Uran. Thorium ist auf dem Weltmarkt billiger als UO2 und sein Preis wird voraussichtlich nicht so stark ansteigen wie der von UO2. Zweitens wird durch die Verwendung von Thorium die Produktion langlebiger nuklearer Abfälle wie Plutonium minimiert, da beispielsweise sieben aufeinanderfolgende Neutronenreaktionen erforderlich wären, um aus Th-232 Pu-239 zu erzeugen, eine unwahrscheinliche Kette. Aus ähnlichen Gründen wird die Erzeugung sogenannter "minorer" Aktiniden stark unterbunden, was die Grösse und die Komplexität von Langzeitlagerstätten für nukleare Abfälle wesentlich reduzieren wird. Drittens wird in einem mit Thorium betriebenen Reaktor bei der Produktion von spaltbarem U-233 auch U-232 in geringen Mengen erzeugt. U-232 zerfällt mit einer Halbwertszeit von etwa 70 Jahren kontinuierlich unter Bildung von Thallium-208, einem starken Gammastrahler. Diese Strahlung und die entstehende Wärme machen die Herstellung einer Kernwaffe praktisch unmöglich. Schliesslich ist es von Vorteil, Thoriumbrennstoffe in einem System einzusetzen, in dem ein Protonenbeschleuniger die fehlenden Neutronen erzeugt und in den Reaktor einschiesst, die zur Aufrechterhaltung einer Spaltungskettenreaktion erforderlich sind. Wenn der Protonenstrahl des Beschleunigers abgeschaltet wird, stoppt unmittelbar die Kernreaktion, was ein unbestreitbares Mass an Sicherheit bietet. Und in einem schnellen Neutronenspektrum können Plutonium und andere nukleare Abfälle, die mit Thorium vermischt werden, "verbrannt" (d.h. transmutiert) werden, so dass langlebige radiotoxische Isotope in den verbleibenden Abfällen vermieden und somit auch nicht lange gelagert werden müssen; wir sprechen hier von 100 bis 300 Jahren anstelle von 100000 Jahren bisheriger Konzepte.
ITER - Ein wesentlicher Schritt auf dem Weg zur Fusionsenergie
Die Fusion ist die Art und Weise, wie Sterne mit Energie versorgt werden. Auf der Erde sind die Ressourcen an Fusionsbrennstoff nahezu unerschöpflich und geografisch gleichmässig verteilt. Um die Fusion auf der Erde nutzbar zu machen, müssen die extrem heissen Plasmabedingungen, die in Sternen herrschen, technisch nachgebildet werden, und zwar unter Verwendung eines magnetischen statt eines gravitativen Einschlusses. Die Fusionsreaktion von Deuterium und Tritium hinterlässt keine radioaktive Asche, und sie ist nicht auf eine Kettenreaktion angewiesen. Die entweichenden Neutronen geben ihre Energie an die das Plasma umgebende Hülle ab, aus der die Wärme zur Erzeugung von Elektrizität entnommen wird. Die Neutronen induzieren eine gewisse sekundäre Radioaktivität, die durch die Verwendung von Stählen mit geringer Aktivierung, die keine langlebigen Isotope erzeugen und die nach hundert Jahren sicher in der normalen Stahlproduktionskette recycelt werden können, auf ein Minimum beschränkt wird, da keine Restaktivität zurückbleibt. Es wurden keine intrinsischen Risiken festgestellt, die eine Evakuierung der benachbarten Bevölkerung erforderlich machen würden. Die Brennstoffzufuhr im Plasma dauert nur wenige Sekunden, was eine vollständige Kontrolle des Vorgangs und eine sofortige Abschaltmöglichkeit innerhalb von Sekunden ermöglicht. Bei der Fusion wird kein CO2 erzeugt. Die in den letzten Jahrzehnten erzielten Fortschritte sind beträchtlich und erfordern nun den Bau grösserer Anlagen für die nächste Stufe, um die Anforderungen an den Einschluss brennender, also operativer Plasmen zu erfüllen. Die Aufgabe des internationalen ITER-Projekts, das derzeit in Südfrankreich gebaut wird, besteht darin, einen Nettoenergiegewinn zu erzielen. Im Hinblick auf den künftigen DEMO-Reaktor, den ersten echten Fusionsreaktor, besteht eine grosse Herausforderung darin, die vom Plasma freigesetzte Energie zu bändigen - sie muss gleichmässig und über eine grosse Fläche verteilt sein - und dazu werden neue Materialien entwickelt, die den hohen thermischen Belastungen und Neutronenflüssen unbeschadet standhalten. Das Interesse und die attraktive Möglichkeit, in die Fusion und deren Anwendung zu investieren, die heute auch im privaten Sektor neben staatlichen Projekten wie ITER und DEMO getätigt werden, sind ein weiterer Beweis für die hohen Erwartungen und die Wirtschaftlichkeit, die in die Fusion gesetzt werden.
Die genannten Probleme der heutigen Kernspaltungs- und Fusionstechnologie lassen fälschlicherweise den Schluss zu, dass beide in einem mittel- bis langfristigen Energielösungskonzept keine Rolle spielen werden. Aber ist dies eine unabänderliche Tatsache? Die globale Erwärmung zwingt uns dazu, dringend nach kohlenstoffarmen Lösungen zu suchen. Die Nachfrage nach CO2-freier, bezahlbarer und immer verfügbarer Energie wird durch die zunehmende Digitalisierung, Mobilität und den Lebensstandard eines immer grösseren Teils der Weltbevölkerung weiter ansteigen. Weltweit wird eine reichliche Verfügbarkeit von elektrischem Strom verlangt werden, wobei Wasserkraft, Sonnen- und Windenergie eine grosse Rolle spielen werden, aber ebenso neue Generationen von Kernreaktoren. Sie werden effizient dazu beitragen, die weltweite Nachfrage zu befriedigen.
Es werden drei unterschiedliche und sich ergänzende Konzepte für eine sichere Nutzung der Kernenergie diskutiert: