Nachruf Prof. Dr. Verena Meyer

(04.06.1929 – 21.07.2018)

 

Kurz nach ihrem 89. Geburtstag starb in Zürich Prof. Dr. Verena Meyer, Ehrenmitglied der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften und der Schweizerischen Physikalischen Gesellschaft, die sie von 1975 bis 1977 präsidierte.

Anschliessend an ihre Gymnasialzeit in Zürich studierte Verena Meyer Physik an der Universität Zürich (1948-1954), arbeitete dann als Assistentin am Physik-Institut und promovierte bei Hans Staub in experimenteller Kernphysik (1958). Nach einem Aufenthalt als Postdoktorandin in Minnesota kehrte sie 1960 zurück an ihr Heimatinstitut, lehrte und forschte zunächst als Dozentin und ab 1962 bis zu ihrer Emeritierung 1994 als Professorin. Dekanin der Philosophischen Fakultät II (heute Mathematisch-Naturwissenschaftliche Fakultät) (1976-1978), Rektorin (1982-1984) und Prorektorin für Forschung (1984-1986) waren die weiteren Aufgaben, denen sie sich an der Universität Zürich stellte. Von 1975 bis 1984 war Verena Meyer Mitglied der Abteilung IV des Nationalen Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds, den sie seit 1981 auch leitete. Von 1987 bis 2000 präsidierte sie den Schweizerischen Wissenschaftsrat und war bis 1996 zusätzlich Mitglied der Energieforschungskommission des Bundes.

War es erstaunlich oder nur Zufall, dass mit Verena Meyer ausgerechnet aus der Physik, einem Studiengang mit minimalem Frauenanteil, die erste und bisher einzige Rektorin der Universität Zürich stammte, und sie auch in ihren späteren Funktionen als Pionierin wirkte? Sorgfältige Analyse des Problems, Planung und Konstruktion eines passenden Experiments, das dessen Untersuchung erlaubt und oft eine mutige Weiterentwicklung bekannter Techniken erfordert, und schliesslich kritische Betrachtung der Messdaten zeichnen unsere Forschungsdisziplin aus. Mit dieser Methodik vertraut war sie gut gerüstet für ihre administrativen Aufgaben an der Hochschule und die spätere einflussreiche Tätigkeit in der Schweizer und internationalen Wissenschaftspolitik. Die für sie charakteristischen Eigenschaften, sich bescheiden und frei von persönlicher Eitelkeit in den Dienst der Sache zu stellen und mit harter Arbeit sowie natürlicher Autorität ihr Umfeld beeinflussen zu können, halfen dabei ausserordentlich. Sie beeindruckten uns schon als Studierende, wenn sie uns einfühlsam und geduldig in Vorlesung und Praktikum, und später im Labor als Doktormutter zur Seite stand.

Die mächtigen experimentellen Einrichtungen, mit denen unsere Kolleginnen und Kollegen aus der Teilchenphysik Prozesse im frühen Universum nachvollziehen, wären undenkbar ohne die Vorarbeit, welche die kernphysikalische Forschung – der Entstehung der Elemente in den Sternen gewidmet –- unter anderem an dem kleinen van de Graaff Beschleuniger leistete, den Verena Meyer am Physik-Institut in den frühen 50-er Jahren aufzubauen half. Mit dem Aufbau des SIN, dem späteren Paul-Scherrer-Institut, in Villigen verlagerte sich zwar ihr Experimentieren an das dortige Zyklotron, doch führte sie bis zu ihrem Rücktritt noch eine kleine Gruppe, die in Zusammenarbeit mit der Industrie und der ETH die unverändert hochstehenden Qualitäten des zweiten, 1958 installierten van de Graaff-Beschleunigers nutzte, um Materialforschung zu betreiben.

Gerne erinnern wir uns nicht nur an die jährlichen gemeinsamen Ausflüge der Angehörigen des Physik-Instituts, an denen unsere Kollegin regelmässig teilnahm – am letzten vor ihrer Emeritierung durften wir sie sogar ein wenig feiern, etwas was sie sich an ihren Jubiläen immer verbat. Das Preisgeld des ihr 2000 verliehenen Karl-Schmid-Preises übergab sie dem Zürcher Universitätsverein zur Nachwuchsförderung, die ihr bei ihrer Arbeit in allen Gremien ein wichtiges Anliegen war. Auch ihre Festrede anlässlich der Feier zum 150-jährigen Jubiläum der Universität im Grossmünster – hier war am Stiftungstag (29.04.1833) dem ersten Rektor die Stiftungsurkunde überreicht worden - bleibt unvergesslich. Die Wissenschaftspolitik trieb sie auch nach ihrer Emeritierung 1994 noch um, so gehörte sie 2000 dem Expertenrat an, der alle Universitäten in Nord­rhein-Westfalen evaluierte. «Kreatives Alter» nennt sich eine der vielen Stiftungen, für die sie als Expertin tätig war, einem Motto, dem sie auch in ihrem neunten Lebensjahrzehnt wahrlich nachlebte, trotz zunehmender Altersbeschwerden, die zum Umzug in eine Alterswohnung zwangen.

Als langjährige Teilnehmerin eines russischen Konversations- und Literaturkurses freute sie sich immer, akademische Gäste aus Russland bei sich in ihrem Witiker Haus zu beherbergen. Auch ihr Bündner Domizil in Tschappina, hier half sie den Nachbarn auch gelegentlich bei der Heuernte, stand Freunden offen.

In mehreren ihrer Funktionen war Verena Meyer die erste Frau. In einem längeren Interview, das die Gleichstellungsstelle der Universität Zürich publizierte, hat sie diese Rolle eher heruntergespielt, «ich nahm das Leben wie es kam», sie habe auch von einem gewissen Frauenbonus profitiert. Dies werden alle, die ihr in Freundschaft und mit grossem Respekt und Dank verbunden waren bezweifeln. Ihre Familie, ihre Freunde und die Schweizer Wissenschaftsgemeinde betrauern den Tod einer aussergewöhnlichen Persönlichkeit.

Prof. em. Peter Truöl, Universität Zürich

 

[Veröffentlicht: Oktober 2018]